Der Opernfreund

Von Dr. Frank Piontek


Steingraebers Kammermusiksaal. 12.8. 2014


Siegfried Mauser spielt Strauss, Reger u.a.

Subtile Dramaturgie und Musik

Wer in ein Konzert Siegfried Mausers geht, besucht ein Seminar, oder besser: einen avancierten Crash-Kurs über Musikgeschichte. Zum wiederholten Mal tritt der ehemalige Leiter der Münchner Musikhochschule, der nun das selbe Amt am Salzburger Mozarteum versieht, in Steingraebers Kammermusiksaal auf, um uns etwas über eine Epoche zu erzählen. Fast fürchtet der Hörer, dass angesichts der nur 20 kurzen und sehr kurzen Klavierstücke und Lieder die Zeit kaum ausreicht, um bis Mitternacht durchzukommen – doch die subtile Dramaturgie lässt alle Befürchtungen, dass 5 Minuten Kommentar für ein Werk vielleicht doch zu lang sein könnten, im Nichts verstäuben.

Subtil ist indes nicht nur die Dramaturgie des pädagogischen Eros. Subtil war und ist die zwingende Anordnung, der sich – vom Jubilar Richard Strauss ausgehend – Zemlinsky, Reger, Skrjabin, Debussy und Schönberg elegant fügen. Wir bekommen im Kern einen Harmoniekurs verpasst, der uns wieder lehrt, dass die nachwagnersche Ausreizung der Chromatik in den Jahren um 1900 zielgerichtet in die Auflösung der traditionellen Tonwelten führte: mit Schönberg als erstem radikalem Höhepunkt. Auf der zumindest harmonisch weniger extremen Seite war Max Reger der große Radikale. Es ist kein Zufall, dass der erste Teil – vor vier berühmten Strauss-Liedern – mit zwei Klavierwerken des unvergleichlichen Oberpfälzers abgeschlossen wird, in denen sich die stärkste Chromatik der kontrapunktischen Meisterschaft zugesellt. 


Amélie Sandmann, Siegfried Mauser

War Strauss der Mittelpunkt der Veranstaltung? Ja – und Nein, denn Strauss repräsentierte nur einen Großen unter Großen. Mauser spielt einige Klavierwerke, die seit 1879 entstanden; wer ganz genau hinhörte, mochte den unverwechselbaren Strauss-Ton wahrnehmen; der Professor demonstriert uns an Intervallen und harmonisch-melodischen Details und Gesten, wo der wahre Strauss sich schon ankündigte. Amélie Sandmann singt, mit schöner Auffassung, den „Morgen“, „Die Nacht“, Allerseelen“ und „Zueignung“, der Strauss-Liebhaber konnte schwelgen, wo er zuvor, bei Strauss frühen Klavierwerken, interessiert lauschte. Die „Epoche zwischen den Epochen“, wie Carl Dahlhaus das „Fin de siècle“, also die „Wiener Moderne“ nannte, war, das zeigt uns Mauser mit unendlich klarem Anschlag und gelegentlichem Forte-Furor, eine Zeit der Supertalente. Zemlinskys jugendstilhafte Klangfarbenästhetik, Regers quasi-abstrakte Harmoniestudien, die sich als spätromantische Stimmungsbilder („Am Kamin“) tarnten, Skrjabins mystische Akkord-Variationen, Debussys Spaltklänge und Schönbergs freitonale Revolutionsstücke: sie verwiesen den jungen Strauss zwar in die Ecke einer eher ältlichen Ästhetik. Umso erstaunlicher aber, dass ihm schon bald darauf bedeutende Tondichtungen gelangen – und dass Mauser ein von ihm entdecktes, durchaus untriviales „Andante“ mitbrachte, das bislang unpubliziert blieb.

Auch dies gehörte zu den erhellenden Schönheiten eines intellektuell wie sinnlich anspruchsvollen Programms.

13.8. 2014