Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Redmann,


der Inhalt Ihres offenen Briefs an Nike Wagner basiert auf Ihrer persönlichen Meinung, die Sie natürlich - laut Art. 5 (1) GG frei äußern dürfen. Das gleiche Recht steht mir zu; ich werde nachfolgend jedoch nicht nur meine Meinung zum Fall meines Mannes äußern, sondern ein paar unbestreitbare Fakten darlegen: Nach wie vor kann niemand wissen, ob mein Mann sich strafbar gemacht hat oder nicht, denn außer der sogenannten Opferzeugin Christine Schornsheim und meinem Mann selbst war niemand im Raum als es zu dieser, für uns so verhängnisvollen „Nichtaffäre“ kam. Der einzige „Fasttatzeuge", der damals an dem betreffenden Tag anno 2009 den unverschlossenen Raum betrat, fand die beiden friedlich nebeneinander sitzend vor, was er auch vor Gericht ausgesagt hat.
Dass es dennoch zu einer inzwischen rechtskräftigen Verurteilung meines Mannes kam, kann ich - ebenso wie Nike Wagner - nur darauf zurückführen, dass an ihm in der Tat ein Exempel statuiert werden sollte. Entgegen der landläufigen Meinung, es müsse stets „in dubio pro reo“, also „im Zweifel für den Angeklagten" geurteilt werden, ist es leider hierzulande dem Richter per Gesetz erlaubt, auch bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, also ohne Tatzeugen und/oder Beweise, nach dessen freier Überzeugung zu verurteilen (siehe § 261 StPO).

Ich weise jedoch darauf hin, dass im Falle meines Mannes die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, und bewähren kann sich der Verurteilte nur, indem er seinem Beruf nachgeht. Ihn davon abzuhalten, entbehre - laut eines prominenten Anwalts beim BGH in Karlsruhe - jeder Rechtsgrundlage. 

Ihre, meiner Meinung nach, dreiste Unterstellung, es hätten - außer den Nebenklägerinnen - weitere angeblich traumatisierte Frauen im Laufe der Verfahren gegen meinen Mann ausgesagt, bitte ich zu konkretisieren: Welche Damen sollen das denn gewesen sein? Ganz im Gegenteil hatten sich viele Frauen aus dem beruflichen, wie dem privaten Umfeld meines Mannes  gemeldet, um sich höchst positiv über ihn als Präsidenten, Künstler, Wissenschaftler, Hochschullehrer und Mensch zu äußern. Wir hatten dem Gericht eine umfangreiche Liste mit Namen von Leumunds- und Entlastungszeuginnen vorgelegt, aus welcher dann lediglich einige  wenige Frauen ausgewählt wurden und zu Wort kamen, darunter die ehemalige Leiterin der Abteilung Gesang der HMT, sowie ehem. Vizepräsidentin meines Mannes, zwei Pianistinnen und Job-Aspirantinnen, zwei ehemalige Studentinnen (eine Sopranistin, eine Pianistin), eine Musikwissenschaftlerin und Dirigentin, zudem ehem. Assistentin meines Mannes am musikwissenschaftlichen Institut, sowie die ehem. persönliche Referentin und die Sekretärin des Präsidenten.

Im Gegensatz zu mir hatte mein Mann bislang größtes Vertrauen in unser Rechtssystem. Voller Zuversicht ging er in die zermürbenden Gerichtsverhandlungen, hielt es für ausgeschlossen verurteilt werden zu können für etwas, das er nie und nimmer getan hatte: Gewalt gegen Frauen anzuwenden oder mit Gewalt gegen deren Willen zu handeln. Die Möglichkeit einer eventuellen, von ihm unbeabsichtigten Belästigung räumte er von Anfang an ein und bat für ein solches Missverständnis auch um Verzeihung. Warum jedoch derzeit der Mann allein die Verantwortung dafür zu tragen hat, ihm gar ein „Ausnutzen seiner Position“ unterstellt wird, warum nicht einmal ansatzweise Motive wie weibliche Berechnung, bzw. gezielte Versuche männliche Verführbarkeit zur Verschaffung beruflicher Vorteile zu nutzen, thematisiert werden dürfen ohne dadurch einen „Shitstorm“ auszulösen, bleibt mir als wohlwissender Frau ein Rätsel. Meiner Meinung nach kann aufgrund dieser Schieflage, sowie der Unverhältnismäßigkeit der Auswirkungen, in unserem Fall einer weitgehenden Existenzvernichtung eines Menschen und seiner Angehörigen, langfristig eine gesunde Entwicklung der, wie Frau Wagner schon sagte, für die Gesellschaft so wichtigen Frauenbewegung nur Schaden nehmen.


Die wissenschaftliche und künstlerische Arbeit meines Mannes sollte, vor allem im freiberuflichen Bereich, völlig unabhängig von Gerichtsurteilen bewertet und behandelt werden. Weder der Hinweis „große Kunst rechtfertige keine Straftaten“ oder die skurrile Unterstellung eines angenommenen „Mythos des Genies, dem alles erlaubt ist“, wären nötig gewesen, da sie die von Frau Wagner ausgesprochene Anerkennung in einen völlig falschen Kontext setzen.

Über den Vorwurf, ausgerechnet mein Mann habe der Münchner Hochschule Schaden zugefügt, kann ich nur mit dem Kopf schütteln, hat er doch mehr für dieses Haus getan als wohl jeder andere vor und nach ihm - seine Verdienste haben Sie ja auch in Ihrer Verabschiedungsrede mehr als deutlich hervorgehoben. Diejenigen, die für den erlittenen Imageschaden der HMT tatsächlich verantwortlich sind, sollte man meiner Meinung nach ebenda suchen…

Seit drei Jahren kämpfen mein Mann und ich nun für Gerechtigkeit und Rehabilitation, bislang ohne Erfolg, da der aktuelle Zeitgeist jeglicher objektiven Beurteilung entgegenwirkt und zudem der überzogene Maßstab von heute für lange Zurückliegendes angesetzt wird.
Leider war es meinem Mann auch nicht möglich, das Missverständnis mit Frau Schornsheim, wie damals von ihm vorgeschlagen, zur rechten Zeit zu klären, da ein persönliches Gespräch durch ihr Beharren auf Anonymität gezielt verhindert und stattdessen viele Jahre später zum existenzvernichtenden Schlag ausgeholt wurde.
Die schönen Künste wie Musik und Literatur, oder auch die Geisteswissenschaften zählen wir zu den wertvollsten Gütern dessen, was wir insgesamt als Kultur bezeichnen; zur Kultur gehört für mich auch Menschlichkeit. Die jedoch ist in unserem Fall auf der Strecke geblieben.
Ein Mensch wurde erbarmungslos vernichtet, und jeder Versuch der Aufrichtung wird durch brutales Nachtreten verhindert.

 

In Trauer und Fassungslosigkeit,

 

Amélie Sandmann-Mauser